Bürgergeld und ALG 2 - Die Grundsicherung

Alle Selbstständigen, die mit ihrer Arbeit (noch) zu wenig zum Leben verdienen, können seit dem 1.1.2023 als finanzielle Ergänzung "Bürgergeld" beantragen. Die Wort-Neuschöpfung, die in der Gesetzesänderung zur Grundsicherung gefunden wurde, ändert nichts an dem Grundgedanken, dass damit – wie vorher durch das Arbeitslosengeld 2 (ALG 2) bzw. Hartz IV  – theoretisch das Existenzminimum gesichert wird. Als bedürftig gilt dabei nicht allein, wer gar keine Arbeit, kein Vermögen und keine reichen Verwandten hat, sondern auch, wer trotz Arbeit zu wenig Geld zum Leben hat. Diese "working poor", also etwa von Auftragsflauten betroffene Selbstständige, können über das Bürgergeld (als sogenannte Aufstocker) das Einkommen auf das Existenzminimum erhöhen. Das Bürgergeld ist kurz gesagt eine Unterstützung für erwerbsfähige Einwohner, die auch Selbstständige bekommen, die zu wenig Gewinn erzielen, sich und ggf. eine Familie versorgen zu können.

Übergang vom ALG 2 zum Bürgergeld

Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP aus 2021 wurden bei der Grundsicherung einige Änderungen vereinbart, die jedoch weder das System abschaffen, noch eine grundsätzlich andere Art der Berechnung des Regelbedarfs vorsehen. – Geändert wurde also vor allem der Name. Die Umsetzung des Gesetzes beinhaltet neben einer kleinen Erhöhung des Regelsatzes:

  • Wer auf Grundsicherung angewiesen ist, darf im ersten Jahr des Leistungsbezugs Vermögen bis zu 40.000 € anrechnungsfrei behalten. Für weitere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erhöht sich die Grenze um jeweils 15.000 €.
  • Es werden bis 1.000 € Einkommen höhere Freibeträge beim Zuverdienst eingeführt. Zwischen 538 € und 1.000 € dürfen 30 % behalten werden.
  • Der "Vermittlungsvorrang in abhängige Arbeit" wurde abgeschafft. Das kann bei vernünftiger Umsetzung eine große Erleichterung für Selbstständige darstellen. Dann, wenn tatsächlich statt der bisherigen Vermittlung in einen beliebigen Job nun tatsächlich Coaching-Maßnahmen zur Tätigkeit angeboten werden und vor einer Vermittlung in eine beliebige andere Tätigkeit noch einmal genau geprüft werden muss, ob es die Chance gibt, eine Selbstständigkeit (neu, wieder oder weiter) ins Laufen zu bekommen.

In die kleinen Verbesserungen sind Erfahrungen aus dem "erleichterten Zugang" während der Corona-Pandemie eingeflossen, der aber in Sachen Schonvermögen und angemessener Wohnraum deutlich besser ausgestaltet war. Dass es nur zum kleinen Wurf gereicht hat, war der Oppositionspartei CDU zu verdanken. Die hatte alle Vorurteile, die die SPD-Grünen-Koalition vor Jahrzehnten in die erste Hartz-Gesetzgebung geschrieben hatte, Ende 2022 wieder aufgewärmt und in eine Bundesrats-Blockade für weiter gehende Erleichterungen umgesetzt. 

Das Prinzip der Grundsicherung

In diesem  Ratgeber schildern wir nur die wichtigsten Regelungen. Wer zu den allgemeinen Regeln mehr wissen will, findet weitere Informationen auf den Erwerbslosenseiten von ver.di und bei der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen; persönliche Beratung gibt es in den örtlichen ver.di-Büros oder über das online-Formular der ver.di-Erwerbslosenberatung.

Damit gar nicht erst falsche Hoffnungen aufkommen, sollte man sich zunächst klarmachen, dass das Bürgergeld (wie das Arbeitslosengeld II) einem ganz anderen Prinzip folgt als das Arbeitslosengeld I:

  • Das Arbeitslosengeld I ist eine Versicherungsleistung. Wer lange genug Beiträge bezahlt hat und dann arbeitslos wird, hat für eine bestimmte Zeit Anspruch auf dieses Geld. Je mehr zuletzt eingezahlt wurde, desto höher fällt das ALG I aus. Ob nebenbei z.B. Kapital-Einkünfte oder Vermögen bestehen, spielt für die Höhe des Arbeitslosengeldes I grundsätzlich keine Rolle.
  • Das Bürgergeld ist eine Sozialleistung. Es wird nur an bedürftige Personen gezahlt, die keine ausreichendem Mittel für den Lebensunterhalt aufbringen können. Beiträge müssen sie nicht gezahlt haben – dafür wird aber das Geld, das ihnen sonst noch zur Verfügung steht, nach bestimmten Regeln angerechnet. Auch eine Erbschaft, eine Steuerrückzahlung, ein Lottogewinn oder das Honorar für einen lange vor dem Bürgergeld-Antrag erledigten Auftrag.

In welcher Weise und in welcher Höhe Vermögen und sonstige Einkünfte auf das Arbeitslosengeld II (also bis Ende 2022) angerechnet werden, wird in gesonderten Texten erläutert.

Rahmenbedingungen

Wer Grundsicherung, also Arbeitslosengeld II oder Bürgergeld bekommt, für den übernimmt der Leistungsträger die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung komplett. Auch die Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung mussten zeitweilig bis zur Höhe des Basistarifs erstattet werden, weil das Bundessozialgericht Anfang 2011 entschieden hatte (Az. B 4 AS 108/10 R), es gehe nicht an, privat versicherten Sicherungs-Beziehern nur rund die Hälfte davon zu erstatten. Mit einer Gesetzesänderung gilt seit 2019 wieder maximal die Hälfte des Basistarifs als angemessene Hilfe, allerdings mit der Vorgabe an die Versicherer, Betroffenen in der Grundsicherung auch nur noch den halben Basistarif abzuknöpfen. Dazu wurde im § 26, Abs. 1 SGB 2 der Zuschuss begrenzt auf "die Höhe des nach § 152 Abs. 4 des VAG halbierten Beitrags für den Basistarif in der privaten Krankenversicherung". Die konkreten Bedingungen erläutert das Merkblatt "Zuschuss zu den Versicherungsbeiträgen", Details zur Berechnung des Zuschuss' finden sich auch im Punkt 2.2 der fachlichen Weisung zu § 26 SGB 2.
Ein Wechsel in die gesetzliche Krankenversicherung ist privat Versicherten, die in Hartz IV abrutschen, nicht erlaubt.

Der Beitrag, den die Arbeitsagentur früher für alle in der Grundsicherung an die gesetzliche Rentenversicherung zahlte, wurde 2011 ersatzlos gestrichen. Wer jedoch während des Bezugs von Leistungen mit einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit, z.B. als Dozentin, mehr als 538 € im Monat verdient, muss dafür selbst Beiträge an die Rentenversicherung zahlen. Für Künstlerinnen und Publizisten gilt diese Pflicht schon ab 325 € im Monat – von der Krankenversicherungspflicht über die KSK bleiben sie jedoch befreit. 

Wer so viel verdient, dass eigentlich kein Anspruch auf Bürgergeld besteht und nur durch die Beiträge zur Krankenversicherung unter die Grundsicherungs-Grenze rutschen würde, würde im Leistungsbezug über die Arbeitsagentur krankenversichert – er bzw. sie müsste dann also keine eigenen Beiträge mehr zahlen und läge damit wieder über der Grundsicherungs-Grenze. Dann fielen wieder die hohen Versicherungsbeiträge an, die wiederum ... Um das daraus entstehende Kuddelmuddel zu vermeiden, zahlt die Arbeitsagentur solchen Personen einen Zuschuss "für eine angemessene Kranken- und Pflegeversicherung", sprich für eine Versicherung, die nicht teurer ist als die freiwillige gesetzliche im Normaltarif. Diese Regelung gilt für die private wie die gesetzliche Versicherung gleichermaßen, bezahlt wird maximal genau so viel, dass das restliche Einkommen exakt auf die Grundsicherungs-Grenze rutscht.
Positiv ist, dass dieser Zuschuss nicht als Grundsicherungsleistung gilt. Wer ihn bekommt, kann - bzw. konnte auch vor 2023 - beispielsweise nicht zur Aufnahme berufsfremder Tätigkeiten oder zur Berufsaufgabe gezwungen werden. Wie sich der Zuschuss in diesen Fällen berechnet, hat die Arbeitsagentur in einem Merkblatt Zuschuss ... zur Vermeidung von Hilfebedürftigkeit zusammengefasst. Wer noch genauer wissen will, wie die Mitarbeiterinnen der Agentur mit dem Zuschuss verfahren und ihn berechnen sollen, findet die Details in der fachlichen Weisung zu § 26 SGB 2.

Mit dem Bürgergeld ändern sich die Anrechnungsregeln beim Zuverdienst aber auch der Vermittlungsvorrang. Arbeiten darf man während des Leistungsbezugs so viel, wie man will. Vor allem gibt es hier keine 15-Stunden-Grenze wie beim Arbeitslosengeld I. Auch eine Bestimmung, dass man "dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen muss", gab es bereits beim ALG 2 nicht. Allerdings wird die Fortführung der Selbstständigkeit beim Bezug von Bürgergeld nur akzeptiert, wenn sie die Chance bietet, damit irgendwann wieder halbwegs vernünftig Geld zu verdienen. Die persönlichen Ansprechpartner in der Agentur können also auch verlangen, dass Betroffene, die in größerem Umfang und längere Zeit aufstocken, ihre selbstständige Tätigkeit aufgeben und einen anderen, abhängigen Job annehmen. Nach dem Gesetz wäre in diesem Fall praktisch jede andere Tätigkeit zumutbar.

Für Neulinge in Sachen Grundsicherung – um ihnen die Corona-Situation wenigstens etwas erträglicher zu machen – hatten die ver.di-Selbstständigen seit Mitte 2020 eine Basisbroschüre zur Grundsicherung für Selbstständige in der Corona-Krise erstellt. Die neueste Auflage ist vom Januar 2022 und (auch wenn die konkreten Zahlen an vielen Stellen nicht mehr stimmen) als Einstieg in die Logik auch des Bürgergeldes gut geeignet.


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